Meditrina

Arzt am Rande

Seit über fünf Jahren ist Gerold Saladin Arzt bei Meditrina. Ein Porträt.
Porträt von Gerold Saladin, Meditrina-Arzt beim Zürcher Roten Kreuz
Setzt sich mit Herz und Verstand für Menschen ein, die keinen Zugang zum regulären Gesundheitssystem finden: Gerold Saladin, Meditrina-Arzt beim Zürcher Roten Kreuz.

20 Jahre lang führte Gerold Saladin eine Hausarztpraxis gemeinsam mit seiner Frau, die Frauenärztin ist. Sein Staatsexamen machte er 1988 an der Universität Zürich, zu einer Zeit, in der von «Ärzteschwemme» die Rede war. Heute ist er für das Zürcher Rote Kreuz tätig, bei Meditrina, der medizinischen Anlaufstelle für Sans-Papiers.

Sich für ein solch wichtiges und soziales Angebot einbringen zu können, sei sehr gut. Er habe sich sofort wohlgefühlt: «Hier kann ich alles brauchen, was ich als Arzt je gelernt habe. Und zum Glück ist Linda Stoll die Stellenleiterin. Sie hat langjährige Erfahrung und kann dank ihren Kenntnissen – auch in der Administration – viel für unsere Patienten erreichen.»

Reise in ein anderes Gebiet

«Ich bin ein Landei», sagt er von sich, mit einem Augenzwinkern. Mit dem öV von seinem Wohnort am Waldrand eines Dorfes zum Zürcher Limmatplatz zu fahren und über die Kornhausbrücke zur Kronenstrasse 10 zu gehen, das sei fast wie eine Reise in eine andere Welt. Das Zürcher Rote Kreuz bietet hier einen Platz für Menschen, die es nicht so leicht haben wie andere. Nicht nur mit Meditrina, auch mit andern Angeboten wie der ambulanten psychosozialen Betreuung Villa Vita oder der SOS-Beratung.

Der Praxisraum ist bescheiden und klein. Gerold Saladin trägt keinen weissen Kittel, sondern Jeans und Shirt. «Prekäre Situationen kannte ich früher vor allem bei psychisch Erkrankten: Sie haben oft wenig Geld, Probleme mit der Arbeitsstelle und mit sozialen Kontakten.» Ein Patient blieb ihm besonders in Erinnerung, weil er sich zu Ende eines Monats jeweils seine Jogurts nicht mehr leisten konnte. Hier bei Meditrina leben wohl alle Patientinnen und Patienten in einer Ausnahmesituation. Die Menschen haben ein Grundrecht auf medizinische Versorgung, aber der Zugang zum Gesundheitssystem ist ihnen aufgrund ihrer Lebenssituation erschwert oder verwehrt.

Respektvolle Begegnung

Alltagsbeschwerden überwiegen auch bei Meditrina – zum Beispiel Knieschmerzen, Bauchweh, Husten, Hautveränderungen oder ein unbestimmtes Krankheitsgefühl. Die schwierige Lebensgeschichte und die prekären Verhältnisse schwingen immer mit. Oft seien Angststörungen zu vermuten, deren Ursachen im Dunkeln blieben. Respekt und Zurückhaltung erscheinen Gerold Saladin daher besonders wichtig. «Einfach mal zuhören, ohne zu frühes Einfallen mit Fragen. Ein guter Vorsatz!», meint er. In unklaren oder komplexen Fällen kann Meditrina auf Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Netzwerk zählen, zu erweiterter Diagnostik und Therapie.

Verständigung

Vieles in der medizinischen Grundversorgung hat entscheidend mit Sprache zu tun. Vom Erfragen über die Untersuchung bis zum Darlegen des Beratungsergebnisses und dem Vereinbaren des weiteren Vorgehens. Spanisch zu sprechen sei somit bei Meditrina unerlässlich. Seit Stellenantritt ist Gerold Saladin intensiv am Lernen. Treffend und herzhaft kommunizieren zu können (auch auf Französisch und Englisch), das wäre sein Ziel.

«Vieles in der medizinischen Grundversorgung hat entscheidend mit Sprache zu tun.»
Gerold Saladin
Wichtig ist ihm eine gut überlegte Therapie: «Ich glaube weniger an Medikamente als vor 30 Jahren.» Die Medikation sei nur eines von mehreren Therapie-Elementen. Kürzlich kam eine Jugendliche aus Peru zur Beratung, geschickt von ihrer (unentgeltlich arbeitenden) Psychotherapeutin. Ob ein antidepressives Medikament eingesetzt werden solle? «Im dritten Gespräch entschieden wir gemeinsam, dass eine Medikation momentan nicht das Richtige sei, wir aber im Kontakt bleiben wollen.»

Zwischen Hilfeleistung und Ohnmacht 

Neben der Arbeit für Meditrina – es ist eine Teilzeitstelle – macht Gerold Saladin an verschiedenen Orten im Kanton Zürich Praxisvertretungen. Die Arbeit sei andernorts nicht grundsätzlich anders, aber die zur Verfügung stehenden Mittel seien anderswo viel grösser, auf allen Seiten. Auch dort gelängen einige Konsultationen, andere weniger.

Auf dem Heimweg von Meditrina hingegen mischten sich zu den üblichen Tageserinnerungen auch Gefühle von Wut und Ohnmacht. Warum müssen die Meditrina- Patienten und -Patientinnen zusätzlich in ständiger Angst leben, entdeckt zu werden? Zum guten Glück unterstützen SRK-Gönnerinnen und Gönner, Stiftungen und viele medizinische Fachpersonen das Meditrina-Angebot. Verbündete zu haben, sei wichtig, und dafür ist Gerold Saladin sehr dankbar.