Palliative Care

Der letzte Abschnitt

Ausgabe 1 / 2022
Verbundenheit zu spüren, ist in jeder Lebensphase wesentlich, auch in der letzten. Eine freiwillige Begleiterin und eine Expertin erzählen von ihren Erfahrungen bei der Begleitung Sterbender.
Palliative Care SRK Kanton Zürich

Palliativ kann jemand über eine lange Zeit sein, es bedeutet, dass eine Person unheilbar krank ist und es medizinisch gesehen keine Heilung gibt. Bei Palliative Care geht es darum, diese Lebensphase mit so viel Lebensqualität wie möglich zu gestalten. Die «End of Life»-Phase bezeichnet den letzten Abschnitt eines Lebens, das Sterben. Vielen ist es unangenehm, darüber zu sprechen. Aber: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit nimmt uns die Angst vor dem Tod. Für Irène Claire Glaus ist es eine der schönsten Tätigkeiten in ihrem Beruf, jemanden am Lebensende zu betreuen, weil am meisten Ruhe und Zeit für die Pflege vorhanden ist und die Person individuell, einzigartig und persönlich gepflegt werden kann. Sie hat 44 Jahre Erfahrung in der Pflege und ist als Dozentin tätig, unter anderem unterrichtet sie im Lehrgang in Palliative Care «Passage SRK» im Zürcher Roten Kreuz.

Der Lehrgang «Passage SRK» richtet sich an Menschen, die als Freiwillige Begleitungen von Kranken und Sterbenden machen oder machen möchten. Das ist anspruchsvoll, erfordert Hingabe und viel Einfühlungsvermögen. Wie kommt jemand dazu, ein solches Engagement zu übernehmen? Susanna Niederer, eine Absolventin des Lehrgangs, erklärt, es habe bei ihr mit der eigenen Biografie zu tun. Sie war als Kind mit einem tragischen Todesfall in der Familie konfrontiert. Über den Tod zu sprechen, ist für sie nicht eigenartig oder tabu, sondern natürlich. Es wurde im Lauf ihres Lebens zu einer Gabe, auch das Zuhören und Beistehen in einer Krise. «Es tut natürlich weh, wenn man jemanden begleitet und dann verabschieden muss. Einen Verlust zu spüren bedeutet aber auch, dass diese Beziehung wertvoll und bereichernd war. Ich lerne sehr viel, es erdet mich und ich bin mit vollem Herzen dabei.»

Im Unterschied zu ihrem Beruf als selbstständige Beraterin im Bereich Klimaresilienz, wo es um komplexe Themen geht, ist die Begleitung einer kranken Person eine tiefe Begegnung im Moment für eine bestimmte Zeit. «Es ist wie ein inniges und einmaliges Gespräch auf einer Reise», erklärt sie, «wo man weiss, dass man sich wohl nie mehr begegnen wird.» Susanna Niederer war Delegierte des IKRK, später ehrenamtlich für einen Krisen-Beratungsdienst tätig und begleitet heute als Freiwillige auch Menschen mit Demenz im Rahmen des Vereins wabe Limmattal (Wachen und Begleiten Kranker und Sterbender).

Die terminale Lebensphase


Der richtige Ort des Sterbens ist für jeden anders. Das kann ein Hospiz sein, daheim mit Unterstützung von palliativen Brückendiensten oder eine Klinik, die auf Palliative Care ausgerichtet ist. Für Notfälle gibt es das Pallifon, das Notfalltelefon für Palliativpatienten. Menschen sollen dank Palliative Care schmerzfrei, leidensfrei und entspannt gehen dürfen. «Alles ist sehr individuell. Auf Wunsch können Angehörige auch in der Pflege unterstützen», erklärt die Fachfrau Pflege, Irène Claire Glaus. Es kommt vor, dass das Loslassen von Sterbenden sehr intim ist, und es ist auch da sehr individuell, wer beim letzten Augenblick dabei ist. Es kann auch eine Pflegefachkraft oder eine freiwillige Begleitperson beim letzten Atemzug anwesend sein. «Jeder Mensch stirbt anders, es gibt keinen Leitfaden.» Was nimmt die sterbende Person wahr? Wissen tun wir es nicht.

Alle von uns sterben nur einmal, und wie soll man es erzählen können, wenn man auf der anderen Seite ist? Irène Claire Glaus beschreibt es so: «Die Person macht sich bereit für die ganz persönliche innere Reise. Jeder Weg ist individuell und einzigartig.» Sie hat schon erlebt, dass Sterbende im Vertrauen noch etwas bei ihr loswerden oder auch alte, ungelöste Momente im Hier und Jetzt deponieren möchten. Es ist sehr privat und intim, und die Pflege in dieser Phase ist auf das höchste Wohlbefinden der sterbenden Person ausgerichtet. Jede Handlung – zum Beispiel neu lagern oder die Lippen befeuchten – wird mit sanfter Stimme erklärt, auch wenn eine Person sich nicht mehr äussern kann oder ansprechbar ist. Susanna Niederer ist überzeugt: «Selbst wenn eine Person kognitiv vieles nicht mehr wahrnehmen kann, kann sie auf der Herzensebene, auch in der allerletzten Phase, Zuwendung spüren. Viele der Sterbenden wünschen sich, dass jemand bei ihnen präsent ist, gerade auch bei Angst vor dem Alleinsein oder dem Nicht-Wissen, was kommt. Der Übergang bleibt geheimnisvoll, denn niemand von uns Lebenden ist im Sterben geübt.»