Experteninterview

Mit Geld Freiwilligenarbeit ermöglichen

Georg von Schnurbein, Professor für Non-Profit-Management, erklärt, weshalb Freiwilligenarbeit nicht gratis sein kann und soll.
Zwei Freiwillige bringen Kindern bei "mitten unter uns" spielend Deutsch bei.
Hausaufgaben machen, kochen, spielen, basteln – Freiwillige von «mitten unter uns» setzen wöchentlich ein paar Stunden ihrer Freizeit für fremdsprachige Kinder im Sprachtreff Schlieren ein. Die Organisation solcher Freiwilligen-Einsätze braucht Koordination – und Spenden.

2500 Freiwillige engagieren sich beim Zürcher Roten Kreuz. Die Gewinnung, Ausbildung und Begleitung dieser Freiwilligen verantworten grösstenteils Festangestellte. Dies bedeutet: Obwohl Freiwillige ihre Zeit unentgeltlich zur Verfügung stellen, fallen für das Hilfswerk Kosten an. 

Oft werden wir gefragt, weshalb wir Spenden benötigen für Dienstleistungen, die – wie der Rotkreuz- Fahrdienst – von Freiwilligen erbracht werden.

Georg von Schnurbein: Diese Vorstellung in den Köpfen entsteht daraus, dass die Zeit, die zur Verfügung gestellt wird, ja unentgeltlich geleistet wird. Aber alles darum herum kostet, so zum Beispiel die Infrastruktur. Der Punkt, der am meisten vergessen geht, ist die Koordination der Freiwilligen: Das Zürcher Rote Kreuz benötigt Personen, die den Überblick über die vielen Freiwilligen behalten und sie begleiten.

Weshalb ist die Betreuung von Freiwilligen denn so wichtig? Ist sie überhaupt notwendig?

Georg von Schnurbein: Ja, denn hinter der Freiwilligenarbeit stehen Leistungen für Hilfsbedürftige. Wenn nun plötzlich die oder der Freiwillige nicht erscheint, dann geht das zulasten der Empfängerin oder des Empfängers. Oder anders formuliert: Je besser Freiwillige eingearbeitet, betreut, koordiniert und wertgeschätzt werden, desto länger engagieren sie sich. Freiwilligen-Management ist so gesehen nicht einfach ein «nackter» Kostenfaktor, sondern dahinter steckt eine Kette von Prozessen, die ausschlaggebend sind für die Dauerhaftigkeit und die Qualität der Hilfeleistung für Bedürftige.

Inwiefern hat sich die Freiwilligenarbeit über die Jahre geändert?

Georg von Schnurbein: Heutzutage erwarten Freiwillige von ihrem Engagement stärker als früher, dass sie neue Kompetenzen und Wissen erwerben. Weiterbildungsangebote gewinnen entsprechend ebenso an Bedeutung wie die fachliche Begleitung durch die Freiwilligen-Koordinatoren. Aber auch die Gesellschaft hat sich stark verändert. So blieben beispielsweise vor 30, 40 Jahren die Frauen mehrheitlich zu Hause und hatten dadurch grössere und regelmässige Zeit, um sich im Dorf oder in der Gesellschaft zu engagieren. Mit der erhöhten Erwerbstätigkeit von Frauen heutzutage sind solche Zeitfenster und damit die Verfügbarkeit viel kleiner geworden.

Mit welchen Folgen für die Kosten?

Georg von Schnurbein: Die Koordination wird immer komplexer. Das heisst, der Aufwand für die Rekrutierung, Einarbeitung und Betreuung von Freiwilligen steigt, was automatisch höhere Kosten mit sich bringt. So gesehen stehen die höheren Aufwendungen für das Freiwilligen-Management in direkter Abhängigkeit mit der gesellschaftlichen Entwicklung.

Gibt es in der Forschung eine Kennzahl, wie viel die Freiwilligenarbeit ein Hilfswerk kosten darf, damit es «moralisch» noch legitim ist?

Georg von Schnurbein: Nein, beziehungsweise ist das der falsche Ansatz, denn der Input – also die Kosten – sagen nichts über die Leistung aus. Der Staat kann sich die getätigten Freiwilligenstunden gar nicht leisten. Wer diese Kosten eines Hilfswerks infrage stellt, muss sich fragen: Was wäre denn die Alternative?

Was bedeutet dies nun für die Spenderinnen und Spender?

Georg von Schnurbein: Die Frage sollte sein: Wie viel Freiwilligenarbeit kann ich durch meine Spende ermöglichen und was bewirkt diese? Und nicht: Was kostet die Freiwilligenarbeit bei diesem oder jenem Hilfswerk? Diese müssen zudem mit wenigen Mitteln auskommen, sodass sie automatisch gezwungen sind, effizient zu arbeiten.

Gibt es etwas, das Sie unserer Leserschaft auf den Weg geben möchten?

Georg von Schnurbein: Freiwillige kosten nicht nur, sondern bringen etwas Einzigartiges mit. Wir nennen das «Herzkompetenz». Darum heisst es auch immer: Geben gibt.