An die Zugfahrt in die Schweiz erinnert sich Adriana Bastian, als wäre es gestern gewesen: an die harten Holzbänke im Zug, das Gewusel der vielen Kinder, die grosse Halle in Basel, in denen alle ankommenden «Zugkinder» gewaschen, medizinisch untersucht und neu eingekleidet wurden. Die gebürtige Holländerin gehörte zu den Tausenden von Kindern, die in den Jahren von 1942 bis 1956 dank der Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes aus den kriegsversehrten Gebieten Europas in die Schweiz zur Erholung reisen durften. Geboren und aufgewachsen ist die heute 87-Jährige in Haarlem, Niederlanden. Ihre Erinnerungen an den Krieg beginnen im Winter 1944/45, das Jahr des «Hongerwinter», der niederländischen Hungersnot. «Es war schrecklich», erinnert sie sich. Der unglaubliche Hunger, an dem sie und ihre Familie litten, hat sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt.
Erholung in der Schweiz
Im Jahr 1946 durfte das unterernährte Mädchen schliesslich für drei Monate zur Erholung in die Schweiz reisen. Nach der Ankunft in Basel ging es für Adriana Bastian nach Winterthur zu ihren Gasteltern. Ganz «liebe Leute» seien es gewesen, erinnert sie sich. «Gleich zu Beginn haben sie mich gefragt, wie ich sie nennen möchte: Onkel und Tante oder doch lieber Müetti und Vati.» Klein Adriana entschied sich ohne lange zu zögern für Letzteres. «Bis zu ihrem Tod habe ich die beiden so genannt», erzählt sie. Denn der dreimonatige Aufenthalt war der Beginn einer jahrzehntelangen Freundschaft: Adriana Bastian reiste fortan fast jede Sommerferien nach Winterthur, um ihre liebgewonnene Gastfamilie und vor allem auch «Thomy», Thomas Gehrig, ihren Pflegebruder, zu besuchen. Dieser war zum Zeitpunkt ihres ersten Aufenthalts gerade mal ein Jahr alt. «Dieser Bub war alles für mich», sagt Adriana Bastian mit warmer Stimme. «Ich durfte ihn baden, ihm zu essen geben und habe mit ihm gespielt.»