Menschlichkeit

Sie machen den Unterschied

Ausgabe 3 / 2022
Ines, Berna, Elena und Marco – sie alle nehmen sich Zeit, um andere zu unterstützen. Die Rotkreuz-Freiwilligen erzählen, was ihnen Menschlichkeit bedeutet und wofür sie sich engagieren.
Rotkreuz-Duo beim Einkaufen

Ines, eine Freiwillige im Angebot Rotkreuz-Duo (Bild oben, rechts), hilft immer auch spontan, wenn es sich ergibt. «Im Alltag gibt es viele Situationen, in denen man spontan helfen oder unterstützen kann. Manchmal auch nur mit wenigen Worten, einem Lächeln, einer betagten Dame etwas vom Gestell holen, jemanden heimfahren oder Ähnliches. Es sind oft die kleinen Dinge, die es ausmachen», meint sie. Seit letztem Jahr ist Ines auch Freiwillige für «Rotkreuz- Duo», im Rahmen dessen sie die 83-jährige Alice im Alltag unterstützt.

In regelmässigen Begegnungen helfen Freiwillige beim «Rotkreuz-Duo» einer Person punktuell oder wöchentlich bei Aufgaben und Aktivitäten des täglichen Lebens. Gemeinsam machen sie zum Beispiel den wöchentlichen Einkauf, kochen zusammen, machen miteinander die Wäsche oder einen entspannten Spaziergang an der frischen Luft. Alice schätzt es, dass sie zusammen spazieren, sich unterhalten und viele kleine lustige Geschichten erleben, vor allem mit Dolly, ihrem kleinen Malteser, der beide immer wieder zum Lachen bringt. 

Menschlichkeit bedeutet für mich, andere Menschen ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören.
Ines, Rotkreuz-Freiwillige

Das «Rotkreuz-Duo» hat sich fürs Zürcher Rote Kreuz für ein Fotoshooting zur Verfügung gestellt. Die zwei Vertrauten sind im Bild oben beim Einkaufen im Quartierladen zu sehen. Auch die weiteren hier abgebildeten Zweierteams sind Rotkreuz-Freiwillige mit jeweils einer Person, die sie regelmässig unterstützen oder besuchen: Berna vom Jugendrotkreuz mit Ljudmila, Bewohnerin eines Alterszentrums; Marco und Jin vom ÖV-Begleitdienst sowie Elena mit ihrem vierjährigen Sohn Elis und dem 19-jährigen Gastjugendlichen Rafiollah. 

Was bedeutet den Rotkreuz-Freiwilligen Menschlichkeit?

Ein Rotkreuz-Freiwilliger begleitet einen Kunden beim ÖV-Begleitdienst

Marco (Bild oben, rechts) meint: «Sich für jemanden Zeit zu nehmen und für jemanden da zu sein, weil schon dadurch ein Unterschied im Alltag eines Menschen möglich ist.» Seit zwei Jahren hilft er im ÖV-Begleitdienst des Zürcher Roten Kreuzes. Er fährt gemeinsam mit den Kundinnen und Kunden – Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt sind – im öffentlichen Verkehr zu Arzt- oder Therapiebesuchen. «Je nach Art des Termins warten wir vor Ort und begleiten die Kundin oder den Kunden auch wieder nach Hause. Oder, im Fall von längeren Terminen, wird die Begleitung aufgeteilt und je ein Freiwilliger übernimmt die Hin- bzw. die Rückfahrt.» Es gebe immer etwas zu tun. Viele Menschen seien auf Hilfe angewiesen, und der ÖV-Begleitdienst ermögliche es ihm, seinen persönlichen Beitrag zu leisten. 

Ich lerne viele Menschen und Schicksale kennen. Schön ist es immer wieder zu sehen, mit wie wenig Aufwand es möglich ist, jemandem zu helfen und eine Freude zu bereiten.
Marco, Freiwillige beim ÖV-Begleitdienst

Sinnhaftigkeit erfahren

Für Berna (Bild oben, rechts) vom Jugendrotkreuz ist Menschlichkeit eine Begegnung auf Augenhöhe. Sie meint: «Ein jüdisches Sprichwort sagt: Niemand kann immer ein Held sein, aber er kann immer ein Mensch sein. Wenn ich Freude schenken kann, bereitet es auch mir Freude. Ich spüre tiefe Sinnhaftigkeit, wenn ich anderen Menschen helfen oder sie unterstützen kann. Es tut nicht nur den anderen gut, sondern auch mir selbst.»

Wie ist es für Ljudmila (Bild oben, links), dass junge Menschen wie Berna vom Jugendrotkreuz sie regelmässig im Gesundheitszentrum für das Alter Klus Park besuchen? «Ich geniesse im Gespräch die offenen, jungen Menschen, die voller Idealismus unsere Lebensqualität im Alter verbessern. Sie schenken uns alten Menschen ihre Zeit und Fähigkeiten. Ich frage immer nach ihrem Ausbildungsweg und Lebensperspektiven. Einige sind mit ihren Eltern migriert und müssen Erhebliches leisten, um sich zu integrieren. Ihr Rotkreuz-Einsatz bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit dazu. Berna ist eine ruhige junge Frau. Die Kurdin aus der Türkei lebt ohne ihre Familie seit vier Jahren in der Schweiz. Sie ist handwerklich sehr begabt und wir spielen gerne Karten. Als digitale ‹Banause› habe ich aber auch von ihrer Kollegin, der Freiwilligen Sarita aus Spanien, viel gelernt. Ihr verdanke ich zum Beispiel die Kenntnisse vom PostCardCreator, einer App von der Post, die mir in der Pandemie ein Fenster zur Aussenwelt ermöglichte. Damit konnte ich digital Postkarten verschicken.» Für Ljudmila bedeutet Menschlichkeit: «Hilfeleistung an jeden Menschen in Not.»

Auch die kleinen Dinge zählen

Die Rotkreuz-Freiwillige Elena (Bild oben) engagiert sich seit zwei Jahren beim Rotkreuz-Integrationsangebot «mitten unter uns». Ihr Mann habe selber die Integration erlebt, genauso wie ihr Vater. «Ich habe nichts dafür getan, dass ich in dieser sicheren Umgebung aufwachsen durfte. Je mehr wir anderen ihre Integration erleichtern, umso besser ist es für uns alle», erklärt sie ihre Motivation, sich als Freiwillige für «mitten unter uns» zu engagieren.

Das Angebot «mitten unter uns» ermöglicht fremdsprachigen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, einige Stunden pro Woche mit deutschsprachigen Freiwilligen zusammen zu verbringen, und fördert so die Integration. Gemeinsam plaudern, spielen, kochen oder Pizza backen wie auf dem Foto – auf natürliche Weise gelingt es fremdsprachigen jungen Menschen am besten, ihre Deutschkenntnisse rasch zu verbessern.

Menschlichkeit bedeutet für mich, alle Menschen gleich zu behandeln. Mein Privileg, in der Schweiz geboren worden zu sein, als nicht selbstverständlich anzusehen.
Elena, Rotkreuz-Freiwillige bei «mitten unter uns»

Gute Deutschkenntnisse sind der Schlüssel für eine gelingende Berufsausbildung und Integration. «mitten unter uns» unterstützt aber nicht nur beim Deutschlernen, sondern auch dabei, sich am neuen Ort daheim zu fühlen. Elena erzählt dazu eine Geschichte: «Letztes Jahr luden wir Rafiollah für die Weihnachtsfeier zu uns ein. Wie wir es im Familienalltag gewohnt sind, unterhielten wir uns automatisch sehr viel auf Schweizerdeutsch. Am Schluss entschuldigte ich mich bei ihm, dass wir zu wenig auf Hochdeutsch gesprochen hatten und ihn zu wenig integriert hatten. Er unterbrach mich und sagte, er habe sich seit langer Zeit wieder als Teil einer Familie gefühlt. Das sind sehr berührende und schöne Momente, die ich nicht vergesse.»

Es freue sie zu sehen, dass Rafiollah in den letzten zwei Jahren einen grossen Sprung in seinem Auftreten, im Deutsch und in seinem Umgang mit ihnen gemacht habe. Dies sei nicht nur ihr Verdienst, aber es tue gut, ihn auf seinem Weg zu begleiten. «Auch die kleinen Dinge zählen. Ich kann nicht immer gleich viel geben als berufstätige Mutter von zwei Kindern. Und doch ist das Bewusstsein, dass jemand für einen da ist, teilweise schon genug, um vieles auslösen zu können.»