Volker Klose

«Wegen des Roten Kreuzes bin ich in die Schweiz gekommen»

Ausgabe 2 / 2019
Volker Klose – heute Freiwilliger im Zürcher Rotkreuz-Fahrdienst – erzählte der Autorin Sabrina Frei aus seinem Leben und warum er dank dem Roten Kreuz in die Schweiz kam.
Volker Klose, Freiwilliger im Rotkreuz-Fahrdienst
Volker Klose wurde 1942 in Deutschland geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte er im Rahmen der SRK-Kinderhilfe die Schweiz. Dies bewog ihn später dazu, in die Schweiz zurückzukehren und hier zu leben.

Ich treffe Herrn Klose im Zürcher Unterland in seinem Eigenheim, an dem er zurzeit mit Renovationen beschäftigt ist. Daneben verrichtet er Hauswartarbeiten im Nebenhaus, das er 1990 bauen liess. So erhalte ich bald den Eindruck, dass die Zeit im Leben von Volker Klose nie stillsteht. Und tatsächlich war sein Leben schon immer in Bewegung, angefangen mit der Flucht in der Kindheit nach dem Zweiten Weltkrieg, später durch seine beruflichen Tätigkeiten als Chauffeur. In seinen Erzählungen beeindruckt mich die besonnene und humorvolle Art von Volker Klose, der in seinem Leben stets einen Fuss vor den anderen gesetzt hat und immer mal wieder einen nächsten Schritt durch ein sich spontan öffnendes Türchen gewagt zu haben scheint.

Mit dem Leiterwagen auf der Flucht

Volker Klose wurde am 12. Dezember 1942 in Breslau, Deutschland (heute: Wrocław, Polen) geboren. In seinen ersten Lebensjahren sei er wiederholt für mehrere Monate in ein Heim zu katholischen Klosterfrauen in Obhut gegeben worden. Nach Kriegsende und der damit einhergehenden Aufteilung in die vier Besatzungszonen wurde die deutsche Grenze an die Oder zurückversetzt und die Region Schlesien an Polen übergeben. Die verbleibenden deutschen Bürger wurden ausgewiesen und vertrieben. Es gab grosse Flüchtlingsströme in die verschiedenen Landesteile, beispielsweise nach Schleswig-Holstein, Bayern oder Württemberg. Und so hiess es dann eines Tages, dass alle Frauen und Mütter mit ihren Kindern innert 20 Minuten die Wohnungen beziehungsweise ihre Heimat verlassen müssten. Nichts durfte aus den Wohnungen mitgenommen werden. Und so machte sich Volkers Mutter mit ihm und den zwei älteren Geschwistern und einem Leiterwagen auf die Reise in die zugewiesene Amerikanische Zone. Sein Vater lebte damals schon nicht mehr Zuhause, denn gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden im Rahmen des Deutschen Volkssturmes alle Männer ab 12 Jahren bis 60 Jahren noch eingezogen. Sein Vater, damals 42 Jahre, war davon betroffen.

Es tropft in die Unterkunft

Volker Klose war rund ein halbes Jahr auf der Flucht, ehe die Familie die Stadt Regensburg in Bayern erreichte. Regensburg war der innige Wunsch seiner Mutter, die seit ihrer Hochzeitsreise nach Berchtesgaden 1939 unbedingt dorthin zurückkehren wollte. Zunächst lebte die Familie etwas ausserhalb von Regensburg, im Bayerischen Wald, in Flüchtlingsunterkünften, mal auf einem Bauernhof, mal in einer grossen Turnhalle. 1947 erhielt die Familie dann ihre erste «Wohnung»: eine lange Kegelbahn hinter einem Gasthof, erbaut um die Jahrtausendwende. Volker Klose mag sich noch gut daran erinnern, wie es bei Regen überall hineintropfte. Er habe dieses Wasserspiel der Regentropfen, die in die aufgestellten Eimer und Blechbüchsen spritzten, sehr spannend und aufregend gefunden.

Am Hochzeitstag der Eltern 1947 stand plötzlich sein Vater vor der Türe, ein klein gewachsener Mann mit abgeschnittenem Militärmantel. Sein Vater habe nie über die Vergangenheit sprechen wollen, dennoch weiss Volker Klose heute, dass sein Vater aus einem polnischen Gefangenenlager in Tost (pol. Toszek) geflohen sei, als er bei einer Materialbesorgung den Wagen entwendet habe und einfach losgefahren sei. Er habe gewusst, dass dies sein Ende bedeuten würde, wenn er erwischt würde. Später sei der Vater der Fährte seiner Familie gefolgt. Damals hingen an den Gemeinde- und Ratshäusern lange Listen mit den Namen der Familien, welche die jeweilige Ortschaft durchreist hatten, mit Angaben, woher und wohin die Familien reisten. Und so konnte sein Vater die Reise seiner Familie nachverfolgen, bis er sie zuletzt in Regensburg wiederfand.

In die Schweiz zur Erholung

Volker wurde 1949 eingeschult. Aufgrund wiederholter Wohnungswechsel, die jeweils nur als Notunterkünfte dienten, zog die Familie Klose jedes Jahr um und Volker blieb längstens ein Jahr in der gleichen Schule. «Ich ging sieben Jahre zur Schule. In diesen sieben Jahren habe ich sechs verschiedene Schulen besucht.» Deshalb kenne er noch heute jedes Schulhaus in Regensburg. «Die Schulzeugnisse habe ich noch; die sind schrecklich. Aus Schweizer Sicht betrachtet hätte ich gute Schulnoten gehabt», witzelt Volker Klose.

1942 entstand die SRK-Kinderhilfe. Das Rote Kreuz ermöglichte unterernährten und kriegsversehrten Kindern einen Aufenthalt in der Schweiz. Seine ältere Schwester kam 1951 zu einer Pfarrersfamilie in der Gemeinde Trüllikon und besuchte dort die Primarschule. Zwei Jahre später erhielt er die Möglichkeit, seine Schwester zur Schweizer Familie ins Zürcher Weinland zu begleiten. Und so verbrachte Volker seine Sommerferien in der Zürcher Gemeinde und nahm in dieser kurzen Zeit drei Kilogramm zu. Noch heute erinnert er sich an die schöne Zeit in der Schweiz. Einmal habe er eine Banane geschenkt bekommen und aus Hunger direkt reingebissen. Alle Kinder hätten gelacht, bis ihn jemand darauf aufmerksam gemacht habe, die Banane erst schälen zu müssen.

Vom Bergmann zum Unternehmer

Mit 14 Jahren verliess Volker Klose Regensburg und folgte seinem älteren Bruder Winfried nach Dortmund, der seit 1954 im Kohlebergbau in Westfalen arbeitete. Im Juli 1957 erlernte er ebenfalls den Beruf des Bergmanns mit Abschluss der Knappenprüfung 1960. Das sei damals normal gewesen. Jedem anderen sei es auch nicht besser ergangen, meint er heute nüchtern. Als Kind wäre er gerne zur Feuerwehr gegangen oder hätte in einer Autowerkstatt gearbeitet.

Im Herbst 1962 entdeckte Volker Klose am Kiosk des Dortmunder Hauptbahnhofs eine Zürcher Zeitung und erinnerte sich an seine kurze Zeit bei der Pfarrerfamilie in der Schweiz, die ihm durch das Rote Kreuz ermöglicht worden war. Als er in der Zeitung las, dass Leute für den Bau in der Schweiz gesucht würden, gab er kurzerhand ein Stelleninserat auf. Ein Einziger antwortete darauf und bot ihm eine Stelle als Magaziner und Chauffeur in Kaiserstuhl. Volker Klose sagte zu und zog in die Schweiz. «Wegen des Roten Kreuzes bin ich in die Schweiz gekommen», fasst er heute zusammen.

An einem Jugendfest, das alle vier Jahre in Kaiserstuhl veranstaltet wurde, lernte Volker Klose seine spätere Frau kennen. Das Paar heiratete 1966. Im gleichen Jahr kam die erste Tochter zur Welt. Es folgten zwei weitere Kinder. Nachdem Volker Klose erfahren hatte, dass seine Frau in ihrer Ausbildung zur Telefonistin mehr verdiente als er, entschied er sich für einen Stellenwechsel und nahm ein Angebot einer Autogarage in Kloten an. Wenige Jahre später beschloss sein Vorgesetzter, das Geschäft aufzugeben. Volker Klose nutzte die Gelegenheit, kaufte sich mit dem geliehenen Geld seines Schwiegergrossvaters einen eigenen Lastwagen und führte das Geschäft ab August 1968 selbstständig weiter. Da er noch über keine Niederlassungsbewilligung verfügte und damit nicht zur Selbstständigkeit berechtigt war, kam ihm die Idee, seine Frau zur Geschäftsinhaberin zu ernennen und sich bei ihr anstellen zu lassen. Fortan stand auf seinem Lastwagen geschrieben: «V. Klose Transporte, Glattbrugg». Doch er wusste immer, dass alles seine Richtigkeit hatte.

«Ich habe die ganze Stadt Zürich zubetoniert»

Er habe immer viel gearbeitet, bis 1982 nie Urlaub gemacht. Später kam ein weiterer Lastwagen dazu, im Verlauf noch drei weitere. Bis zu seinem Ruhestand und dem Verkauf seiner Firma 2004 transportierte Volker Klose Fertigbeton. «Ich habe die ganze Stadt Zürich zubetoniert», sagt er heute lachend. Später sei er auch noch Car gefahren und habe Touristen in die Schweizer Berge, zum Piz Gloria und auf den Geschmack von «Kafi Lutz» gebracht. Obwohl er pensioniert ist, wird ihm nicht langweilig. Seit bald zehn Jahren fährt er als Freiwilliger des Rotkreuz-Fahrdienstes Mitmenschen mit eingeschränkter Mobilität zu Arztterminen, ins Spital oder in die Therapie. Er habe dem Roten Kreuz viel zu verdanken. Mit diesem Engagement wolle er dem Hilfswerk nun etwas zurückgeben.