Freiwilligenarbeit

Zeitreise durch die Freiwilligenarbeit

Ausgabe 1 / 2021
Die Freiwilligenarbeit hat eine gemeinsame Geschichte mit der Entstehung des Roten Kreuzes, der Emanzipationsbewegung der Frauen und der Entwicklung des Sozialstaates.
Eine Früher zu Heute Gegenüberstellung des Fahrdienstes des SRK.

Die Freiwilligenarbeit ist untrennbar mit dem sozialen und politischen Kontext verbunden, in dem sie sich entwickelte. Aus Sicht der Schweizer Geschichte spielte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) eine wichtige Rolle bei der Strukturierung der Freiwilligenarbeit. Ende des 19. Jahrhunderts hatte das SRK zunächst einen entscheidenden Einfluss auf die Förderung der Sanitätsdienste der Armee. Anschliessend wurde es während der beiden Weltkriege zum Sinnbild für das freiwillige und patriotische Engagement schlechthin. Ab den 1950er-Jahren trug es zur Institutionalisierung der Freiwilligenarbeit im sozialen und paramedizinischen Bereich bei. 1862 stellte Henry Dunant in seinem Werk «Eine Erinnerung an Solferino» die revolutionäre Idee vor, für die Pflege von Kriegsverwundeten auf zivile Freiwillige zurückzugreifen.

Soldaten ohne Waffen

Das im darauffolgenden Jahr in Genf gegründete Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) machte es sich zur Aufgabe, diesen Vorschlag umzusetzen. Einige Monate später willigten die militärischen Stäbe von sechzehn europäischen Staaten ein, die Anwesenheit von freiwilligen Hilfsgesellschaften auf den Schlachtfeldern zu reglementieren. Mit dem Genfer Abkommen von 1864 wurden diese Hilfsgesellschaften erstmals in der Geschichte in einem internationalen Übereinkommen statutarisch abgesichert. Der Archetyp des Rotkreuzfreiwilligen war zunächst männlich: Man stelle sich Hilfsgesellschaften bestehend aus eifrigen, von Opferbereitschaft angetriebenen Männern vor, die als «Soldaten ohne Waffen» beschrieben wurden. Doch dieses neue humanitäre Tätigkeitsgebiet wurde rasch von den Frauen in Beschlag genommen.

Engagement der Frauen

Im goldenen Zeitalter der Wohltätigkeit wurden viele Hilfswerke von «Schirmherrinnen» geleitet. Diese bürgerlichen Damen wollten die materielle und moralische Situation der Gesellschaft verbessern, gleichzeitig jedoch die bestehende Ordnung aufrechterhalten. 1882 traten dem SRK – das alle philanthropischen Kräfte der Schweiz unter seinem Dach vereinigen wollte – zahlreiche Frauenorganisationen bei. Dies traf insbesondere auf den Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein zu, der 1900 eines der Gründungsmitglieder der freiwilligen Sanitätsdienste des SRK war.

In dieser Zeit arbeitete zudem die Samariterbewegung eng mit den lokalen Sektionen des SRK zusammen. Diese in den ländlichen Regionen besonders gut verankerte Bewegung bildete den Grossteil des freiwilligen SRK-Personals aus. Zwölf Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1888 waren im Schweizerischen Samariterbund mehrheitlich Frauen vertreten. Diese spielten rasch eine wichtige Rolle bei der Verwurzelung des SRK in der Schweiz. Die Grenze zwischen der Freiwilligenarbeit und der patriotischen Pflicht war fein: Während des Ersten Weltkriegs wurden die Samariterinnen genauso in das Dispositiv der Schweizer Armee eingegliedert wie die Krankenschwestern des SRK. Ab dem Zeitpunkt, als das SRK als unerlässliche Stütze der Armee wahrgenommen wurde, erhielt die zunächst als Akt der Nächstenliebe verstandene Freiwilligenarbeit einen verbindlichen Charakter.

«Grey Ladies» als Vorbild

Mit der Entwicklung des Sozialstaates und der Professionalisierung der Sozialarbeit ab 1945 verloren die Schirmherrinnen zugunsten einer neuen Form von sozialmedizinischer Freiwilligenarbeit an Bedeutung. Innerhalb des SRK wurde die freiwillige Hilfe Anfang der 1950er-Jahre in der Sektion Zürich ins Leben gerufen. Als Vorbild dienten die amerikanischen «Grey Ladies» – Freiwillige in grauen Uniformen, die sich in den Militärspitälern um das körperliche und geistige Wohlbefinden der rekonvaleszenten Soldaten kümmerten. Nach dem Krieg wurde diese neue Form von Hilfe auf den zivilen Bereich ausgeweitet und eroberte die europäischen Länder, darunter auch die Schweiz, wo an die Stelle der angelsächsischen «Grey Ladies» die freiwilligen Helferinnen des SRK traten. Während diese Hilfe 1952 noch aus zwölf Personen bestand, zählte die Sektion Zürich acht Jahre später bereits mehr als 300 Helferinnen. 

Immer mehr Freiwillige

Zu Beginn bestand die Aufgabe dieser Helferinnen darin, sozial isolierte Personen zu besuchen oder ihnen Freizeitaktivitäten anzubieten. Es wurden Kurse für Freiwillige ins Leben gerufen. 1961 nahmen rund zehn Sektionen ein Angebot zur Unterstützung von älteren, kranken und behinderten Personen in ihre Leistungspalette auf: beispielsweise Besuchs- und Fahrdienst, Aktivierungsangebote und mobile Bibliotheken. Mit dieser Form von Freiwilligenarbeit konnte angemessen auf die neuen Herausforderungen wie Alterung der Bevölkerung, Betreuung von behinderten Personen, Einsamkeit in den Städten, Prekarisierung eines Teils der Bevölkerung oder Eingliederung von Flüchtlingen reagiert werden. 1975 konnten 45 Sektionen auf den regelmässigen Einsatz von 1’800 freiwilligen Helferinnen und Helfern zählen, deren Zahl in den darauffolgenden fünfzig Jahren weiter anstieg. Heute sind in der Schweiz rund 53’000 Freiwillige für das Rote Kreuz tätig.

Patrick Bondallaz, SRK Historiker

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