Experteninterview

Warum Helfen glücklich macht

Theo Wehner ist emeritierter Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. Er hat viele Forschungsprojekte zur Freiwilligenarbeit durchgeführt. Im Interview erläutert Prof. Wehner, warum Freiwilligenarbeit zum Wohlbefinden beiträgt und warum Sinnhaftigkeit ein individuelles Empfinden ist.
Freiwillige spielen bei Spoko mit Kindern aus benachteiligten Familienverhältnissen.
Bei Spoko (Sport und Kochen) ermöglichen Freiwillige des Zürcher Jugendrotkreuzes Kindern aus benachteiligten Familienverhältnissen abwechslungsreiche Ferientage in Zürich.

Das Zürcher Rote Kreuz wirbt mit dem Slogan «Helfen macht glück­lich». Wenn wir «Glück» durch «Wohlbefinden» ersetzen: Wie kann freiwilliges Engagement zum Wohl­befinden beitragen?

Helfen hilft, und zwar nicht nur je­nen, die Hilfe benötigen, sondern auch jenen, die helfen. Dies gilt insbesonde­re in der Freiwilligenarbeit. Sie hilft dem Freiwilligen, Erfahrungen zu sammeln, zu lernen, seinem Anspruch nach Gerechtigkeit und den persönli­chen Werten Ausdruck zu verleihen, sozialen Kontakt zu haben und vieles mehr. In der Summe dieser Funktionen könnte Glück entstehen, auf jeden Fall sollte sich das Wohlbefinden erhalten oder sogar steigern lassen. Einen Ga­rantieanspruch hierfür gibt es jedoch nicht. Dennoch habe ich Verständnis und Sympathie für den Werbespruch, darf jedoch als Wissenschaftler etwas kritischer bzw. skeptischer sein.

Sich einer sinnvollen Aufgabe zu widmen und für andere etwas bewir­ken zu können, kann dazu beitragen, dass wir uns erfüllt fühlen. Warum ist der Sinn so wichtig?

Weil Sinn etwas sehr Persönliches ist. Wer in der Arbeit, ob zu Hause, im Geschäft oder im Verein, Sinn zu ge­nerieren vermag, der fühlt sich selbst verwirklicht. Eine solche Person erlebt Kohärenz, sie ist im Einklang mit den persönlichen Werten und mit den An­forderungen, die einem die Aufgaben abverlangen. Wem das nicht gelingt, der fühlt sich überflüssig, austauschbar und sicher nicht glücklich.

«Wir sind es, die den Dingen, die wir tun, Sinn verleihen.»

Dabei ist es wichtig, im Blick zu be­halten, dass das, was für mich sinnvoll ist, für eine Kollegin oder einen Kolle­gen nicht auch sinnvoll sein muss. Ei­ne Sache ist nicht per se sinnvoll oder sinnlos. Wir sind es, die den Dingen, die wir tun, Sinn verleihen. Deshalb ist es auch müssig, nach dem Sinn des Le­bens zu fragen: Wir sind es, die dem Leben Sinn verleihen – oder genau da­ran scheitern.

Kann Helfen auch das Gegen­teil bewirken, nämlich unglücklich machen?

Ich bin nicht sicher, ob grundsätz­lich alles auch unerwünschte Neben­wirkungen hat. Dass Helfen unglück­lich macht, kann ich mir nicht gut vorstellen, es sei denn, es sind unrea­listische, überhöhte Erwartungen im Spiel. Manchmal kom­men Berichte von unzufriedenen, frus­trierten und verärgerten Helferinnen und Helfern. Geht man diesen genau­er nach, so zeigen sich häufig zu eu­phorische Erwartungen, zu wenig Betreuung durch und Dialog mit Pro­fessionellen. Es ist nicht einfach, in einem Bereich, in welchem ich keine Ausbildung habe, also Laie bin, aber davon ausgehe, dass ich dennoch hel­fen kann, zum Vornherein zu wissen, ob es mich eventuell nicht doch über­fordert. Diese Achtsamkeit gegenüber Überforderungssymptomen braucht es von den Freiwilligen und erst recht von den Programmverantwortlichen.

Was empfehlen Sie den Freiwilligen im Zürcher Roten Kreuz, das ihr Engagement und ihr Wohlbefinden fördert?

Die Freiwilligen sollten sich im­mer wieder fragen, ob die Aufgabe für sie noch sinnvoll ist und eventuelles Unbehagen nicht nur mit Aussenstehenden, sondern auch mit den Programmverantwortlichen besprechen.

Als Forschungsergebnis hat mich vor vielen Jahren überrascht, dass sich jene in und mit ihrer Freiwilligenarbeit am wohlsten fühlen, die sie erstens re­gelmässig und zweitens in einem ange­messenen zeitlichen Rahmen ausüben: Nicht zu wenig, aber auch auf keinen Fall zu viel.

Und schliesslich sollten sich die Freiwilligen auch überlegen, wie und wann sie ihr Engagement beenden, da­mit das Ganze eine runde, gelungene Lebensphase ergibt. In der Erwerbsar­beit ist dies durch das Pensionsalter ge­regelt, in der Freiwilligenarbeit kann, darf und muss das jede und jeder selbst festlegen.