Rotkreuz-Notruf

Schnelle Hilfe per Knopfdruck

Mitten in der Nacht wacht Frau K. auf. Das ist nicht ungewöhnlich, die 77-Jährige schläft selten durch. Heute ist aber etwas anders: Es riecht verbrannt. Hat sie vergessen, die Herdplatte abzustellen? Frau K. kann sich nicht erinnern. Aber sie weiss, was jetzt zu tun ist. Sie drückt den Knopf auf ihrem Armband.

Nach ein paar Sekunden meldet sich die Notrufzentrale des Schweizerischen Roten Kreuzes: «Brauchen Sie Hilfe?», tönt es aus der leistungsstarken Freisprecheinrichtung in Frau K.'s Wohnzimmer. Stellt sich heraus, dass es tatsächlich brennt im Haus der Seniorin, wird sofort ein Feueralarm ausgelöst – die Rettungskräfte rücken aus. «Schaffen Sie es allein aus der Wohnung?», fragt dann die Stimme aus der Zentrale. Bis bei Frau K. die nötigen Massnahmen eingeleitet sind und die Situation geklärt ist, bleibt man verbunden.

Das Angebot des SRK gibt es seit mehr als 30 Jahren und wird ständig weiterentwickelt. Der Rotkreuz-Notruf ermöglicht es älteren oder erkrankten Menschen, selbstständig und sicher wohnen zu können. Es gibt die Variante mit dem Armband, und es gibt eine mobile Version, ein kleines Gerät, das Ortung per GPS ermöglicht, wenn man etwa Gartenarbeiten ausführt oder sich auf Wanderschaft begibt. «Das gibt allen Beteiligten ein sicheres Gefühl», sagt Susanne Zihlmann vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) Kanton Zürich. Den Notruf-Nutzern, aber auch den Angehörigen, die sich weniger Sorgen machen müssen, wenn sie für ein paar Tage in die Ferien fahren. Die Notrufzentrale ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr besetzt. Wo nötig, organisieren die Mitarbeitenden umgehend Hilfe vor Ort. Oder sie sprechen auch mal ein paar Minuten mit den Anrufern, wenn diese schlicht das Bedürfnis haben, wieder einmal eine freundliche Stimme zu hören.

Selbständig und sicher wohnen

Auch Herr B. liegt heue Nacht wach im Bett. Seit einigen Jahren lebt er allein auf seinem Hof im Zürcher Oberland. Schon am Abend, nach der Tagesschau, fühlte sich der 86-Jährige unwohl. Er steht auf, will einen Schluck Wasser trinken. Dann passiert es, er fällt im dunkeln Zimmer um und kann nicht mehr aufstehen. Hat er sich verletzt? Er verspürt einen leichten Schmerz in der Hüftgegend. Er drückt den Knopf, und die freundliche Stimme meldet sich: «Brauchen Sie Hilfe?» Herr B. will kein Ambulanzfahrzeug morgens um halb vier Uhr auf seinem Hof. Es reiche, wenn jemand kurz vorbeischaue. Er hat aber keine Angehörigen, keine Freunde oder Nachbarn, die in der Nähe wohnen. Ein Schlüssel zu seinem Hof befindet sich deshalb in einem Depot bei einer Partnerorganisation des SRK, beispielsweise bei Schutz & Rettung oder der Feuerwehr in der Gemeinde. Diese wird nun aufgeboten, um kurzfristig auf Herrn B.’s Hof nach dem Rechten zu sehen. Falls es sich um einen medizinischen Notfall handelte, würde man den betagten Mann ins Spital in der Stadt fahren.

Auf den Computern in der Notrufzentrale sind alle relevanten Daten der Nutzer gespeichert. Man weiss, wer im Notfall aufzubieten wäre, welche Medikamente der Kunde einnehmen muss, was in seiner Krankengeschichte steht. So ist man beim SRK stets in der Lage, die richtigen Massnahmen einzuleiten. Zum Konzept gehört, dass das System einmal im Monat vom Kunden getestet wird. Die Nutzer drücken dafür zur Probe den Knopf. So wissen stets beide Seiten, dass alles in Ordnung ist. Ein automatischer technischer Funktionalitätscheck findet zudem täglich statt: Ist das Gerät mit Strom versorgt, kann es eine Verbindung zur Zentrale aufbauen?

Gefragter denn je

In einer Zeit, in der die Menschen immer älter werden und gleichzeitig das Bedürfnis haben, möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist die Dienstleistung des SRK gefragter denn je. «Es ist für viele die letzte Möglichkeit, sicher allein zuhause zu wohnen», sagt Susanne Zihlmann. Es lasse sich damit einfach entspannter leben.

Der Rotkreuz-Notruf lässt sich aber auch nur befristet mieten. Wenn etwa nach einem Spital- oder Kuraufenthalt zusätzliche Sicherheit für zuhause benötigt wird. Das Prinzip ist dabei das gleiche: Ein Knopfdruck genügt, und schon ist Hilfe unterwegs. Der persönliche Kontakt zu den Kunden steht dabei stets im Vordergrund. Man bleibt mit ihm in einer Notsituation permanent in telefonischem Kontakt, bis diese gelöst ist. «Das macht das Angebot des Roten Kreuzes so einzigartig», sagt Susanne Zihlmann.

 
Auszug aus der Beilage «24 Stunden» des Tages-Anzeiger, Mai 2016.