Arbeitswelt

Ein Zusammenspiel mit grossem Erfolg

Ausgabe 1 / 2024
Ein Engagement von unterschiedlichen Beteiligten kann sehr viel bewirken. Hassan arbeitet heute glücklich als ausgelernter Bäcker. Die Freiwillige Verena hat ihn ein Stück auf seinem Weg begleitet.
Die freiwillige Mentorin, ein Berufsausbildner und der erwachsene Lernende Hassan stehen in der Bäckerei.

«Ich bin sehr stolz auf Hassan.» «Und ich sehr dankbar für meine liebe Mentorin Verena.» Liebevolle Worte eines Tandems des Integrationsangebots Perspektive Arbeit vom Zürcher Roten Kreuz. Die beiden erzählten uns bei einem aufschlussreichen Interview von ihrer gemeinsamen Zeit.

Hassan ist vor acht Jahren mit seiner Frau und seinen Kindern aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. «Ich wollte unbedingt von Anfang an mein eigenes Geld verdienen und unabhängig sein», sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs. Doch nur der Wille selbst reichte leider nicht. «Gleich bei meinem ersten Gespräch mit der Gemeinde wurde mir gesagt, dass ich zuerst Deutsch lernen und den F-Ausweis bekommen muss.» Dem Mann war sein Ziel klar. Somit begann er intensiv Deutsch zu lernen und suchte gleichzeitig einen Job. Dank Integrationsangeboten von unterschiedlichen Organisationen war es Hassan möglich, einige befristete Arbeitseinsätze anzutreten, zum Beispiel in der Gastronomie oder als Velokurier.

Gemeinsam auf Stellensuche

«Zum Angebot Perspektive Arbeit kam ich eigentlich durch meine Frau. Sie hat einen Computerkurs gemacht, den das Zürcher Rote Kreuz angeboten hat. Durch diesen Kurs kamen wir mit einer Mitarbeiterin des SRK Kanton Zürich in Kontakt, die uns beraten und mir dieses Angebot empfohlen hat. Da habe ich mich gleich angemeldet und mir wurde Verena als Mentorin vorgestellt.» Damit begann für das Tandem eine intensive Zeit. «Eine richtige Stelle oder Ausbildung zu finden, war unglaublich schwierig», erzählt Verena. «Wir haben stundenlang telefoniert und mit zahlreichen Betrieben gesprochen.»

Es gibt unzählige Schwierigkeiten, die eine geflüchtete Person hier hat.
Verena, freiwillige Mentorin

Hassan erklärt: «Ich hätte jede Arbeit angenommen, egal was. Aber mein grosser Wunsch war es, als Bäcker zu arbeiten.» Hassans Geduld wurde lange auf die Probe gestellt. Eines Tages erhielt er eine Zusage für ein Praktikum in der Bäckerei Vier Linden in Zürich. Dankbar und glücklich trat er das Praktikum an und bewarb sich währenddessen weiterhin für eine Festanstellung. «Ich wollte unbedingt unabhängig von der Sozialhilfe sein und selbst für mich und meine Familie sorgen», erklärt der 43-Jährige.

Herausforderungen meistern

Im Laufe des Lebens werden wir vor zahlreiche Entscheidungen gestellt. So auch Hassan, als er zeitgleich eine Zusage für eine Stundenlohn-Stelle sowie eine Lehrstelle als Bäcker in seinem Praktikumsbetrieb erhielt. «Verena und ich sprachen lange darüber, was ich tun soll. Sie und auch die Sozialarbeiterin meiner Gemeinde empfahlen mir, die Lehre zu machen, da es für die Zukunft besser ist. So habe ich mich schliesslich entschieden. Auch wenn das bedeutete, dass ich noch eine Zeit lang nicht unabhängig sein würde.» Das Tandem berichtet auch, wie sehr sich die Sozialarbeiterin für Hassan eingesetzt hat. «Sie wollte nur das Beste für mich und suchte immer mit uns nach Lösungen. Ich habe auch ihr vieles zu verdanken.»

Hassan arbeitete bereits in Afghanistan als Bäcker und brachte deshalb viel praktische Erfahrung mit. Während seiner Ausbildung zum Bäcker-Konditor-Confiseur in der Bäckerei Vier Linden war Heinz Mathis sein Berufsbildner. Er erzählt uns bei einem Besuch in der Bäckerei, dass es für ihn eine sehr schöne Aufgabe war, Hassan begleiten zu dürfen. «Bereits während der Lehre konnte man ihn wie einen ausgebildeten Mitarbeiter einsetzen. Hassan war immer sehr zielstrebig, motiviert und zuverlässig», schildert uns Heinz Mathis. 

Doch die grössere Herausforderung war die Berufsschule. Hassan hatte zwar Berufserfahrung, hat aber nie eine Schule besucht. «Am ersten Schultag dachte ich, das schaffe ich niemals. Ich war verzweifelt und rief am Abend Verena an», berichtet Hassan, der das unterdessen mit Humor nimmt, lachend. Verena ergänzt: «Wir lernten viele Stunden gemeinsam. Vor allem Deutsch und Mathe übten wir. Man muss sich vorstellen, wie schwierig seine Ausgangslage war. In diesem Alter, ohne je vorher auf diese Art gelernt zu haben, und dann noch in einer Fremdsprache eine Ausbildung zu machen. Ich bewundere ihn sehr.» «Ohne Verena hätte ich das nie geschafft. Sie war immer da und hat mir immer geholfen. Wenn ich allein und überfordert war, hörte ich im Kopf Verenas Stimme, die sagt ‹Du kannst das, Hassan›», erzählt er, und die beiden lachen gemeinsam.

Erfolgreicher Abschluss

All die Mühe lohnte sich. Letzten Sommer schloss Hassan seine Lehre ab – sogar mit dem zweitbesten Notendurchschnitt des Jahrgangs. Dank seiner lobenswerten Leistung bekam er anschliessend eine Festanstellung im Ausbildungsbetrieb. «Ich bin so glücklich, dass mein Traum wahr geworden ist und ich als Bäcker arbeiten kann», sagt er mit strahlenden Augen.

Dank der Festanstellung sind wir nicht mehr abhängig von der Sozialhilfe.
Hassan, gelernter Bäcker
Hassan nimmt ein vorbereitetes Brot vom Blech, um es in den Holzofen zu schieben.

Engagement für Integration

Sein Ehrgeiz und Durchhaltevermögen sind bewundernswert. Genauso wie das Engagement seiner Mentorin. Verena ist pensionierte Biologin und wollte sich freiwillig engagieren. An einer Infoveranstaltung des Zürcher Roten Kreuzes erfuhr sie mehr über Freiwilligenengagement und wusste sofort, dass sie sich beim Integrationsprogramm Perspektive Arbeit engagieren möchte. «Ich leitete früher ein Team und konnte mein Wissen aus dieser Funktion weitergeben. Menschen zu fördern, sie zu Leistungen zu animieren und die Stärken des Gegenübers zu finden – diese Kompetenzen konnte ich als Mentorin wieder einsetzen.»

Die engagierte Frau erzählt uns, wie sie während der Zeit mit ihrem Tandempartner gelernt hat, was es im Detail bedeutet, neu in der Schweiz zu sein, und wie gross die Schwierigkeiten sind. «Es ist wichtig, dass jemand da ist, der einem die neue Kultur zeigt und an einen glaubt», sagt sie. «Es wurde mir auch nochmals sehr stark bewusst, wie gut es uns geht und dass wir dankbar sein sollten.» Das Tandem ist auch heute noch in Kontakt, trotz Abschluss ihrer gemeinsamen Zeit im Rahmen von Perspektive Arbeit beim Zürcher Roten Kreuz. «Verena hat immer mit Herz geholfen. Sie ist nicht nur eine Mentorin. Sie ist für mich wie Familie», sagt Hassan lächelnd. Verena bedankt sich gerührt und fragt ihn, wie es seiner Tochter mit dem Nachhilfeunterricht gehe, den sie ihr vermittelt hat. 

Hassans beruflicher Weg zeigt, wie viel Positives bewirkt werden kann, wenn alle am gleichen Strang ziehen. Die Herausforderungen für den Neuanfang waren gross. Aber durch Zusammenhalt, Durchhaltewillen und Unterstützung der involvierten Stellen konnte Hassans Traum Wirklichkeit werden. Seine Familie steht nun auf eigenen Füssen, und zusätzlich sehr erfreulich ist, dass seine Frau kürzlich ebenfalls eine Berufsausbildung beginnen konnte.